Alfred Lehmann in Paris

In den 50er Jahren unternimmt Lehmann immer wieder Reisen nach Paris, die oft auch mit längeren Aufenthalten verbunden sind. Dabei taucht er ein in eine lebendige, vielgestaltige Kunstszene, lässt sich von der französischen Gegenwartskunst inspirieren, nimmt selbst an Ausstellungen teil (etwa als Mitglied der Association Artistique "Les Surindépendants") und findet aufregende neue Motive für sein eigenes Werk.
 

Die Motivation

Lehmanns Reisen nach Paris sind sowohl persönlich als auch künstlerisch motiviert: Marie-Louise Looks, die 1954 Lehmanns Frau wird, hat eine starke Affinität zur Seine-Metropole und ist von 1955 bis 1957 beruflich dort tätig. Aber auch künstlerisch kann sich Lehmann in der französischen Hauptstadt zu Hause fühlen: Die Auseinandersetzungen um die moderne Kunst werden dort nicht minder lebhaft als in der Heimat ausgetragen – und dann ist da natürlich noch die ungeheure Faszination, die die französischen Werke der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart auf den schwäbischen Maler ausüben.
 

Die Einflüsse französischer Kunst

Paris gibt Lehmann die Chance, in direkten Kontakt zu den Werken seiner "Meister" zu treten: Er steht bewundernd vor den Gemälden Cézannes, Delacroix und Matisses und beschäftigt sich intensiv mit den Bildern Robert Delaunays und Sonja Delaunay-Terks, die kurioserweise dem viel kritisierten Willi Baumeister künstlerisch wie persönlich sehr nahe steht. Auch der kubistisch orientierte André Lhote, der sich als Kompositeur, Kolorist und Theoretiker einen Namen gemacht hat, ist während der Pariser Zeit ein wichtiger Orientierungspunkt Lehmanns. Farbe und Form: Der Interessenfokus Lehmanns tritt auch in Paris deutlich zu Tage.
 

Das "Pariser Werk"

Paris ist nicht nur theoretisch anregend für Lehmann. Vielmehr entstehen während der Besuche in der französischen Metropole zahlreiche Bilder – mindestens dreizehn Gemälde zwischen 1955 und 1958, einige Porträts seiner Frau, zahlreiche Arbeiten auf Papier und möglicherweise auch diverse Figurenbilder.
 
Natürlich dürfen die typischen Pariser "Stadtlandschaftsmotive" – Seine-Brücken, Montmartre, Ile de la Cité – bei diesen Bildern nicht fehlen. Weitaus spannender, geradezu atemberaubend, ist jedoch eine Serie von Gemälden und Zeichnungen, die fulminant aus dem eher ruhigen Gesamtwerk Lehmanns hervorsticht: Die Revuetanzbilder – inspiriert durch Lehmanns Besuche im "Casino de Paris", aber auch durch eine lange Tradition französischer Malerei von Toulouse-Lautrec über Degas bis hin zu Sonja Delaunay-Terks "Tango Bal Bullier", ein Bild, mit dem sich Lehmann in ausführlichen Studien besonders auseinandersetzt.
 

Die Revuetanzbilder

Die Gemälde "Bühnentanz" und "Pariser Revue" sowie mehrere Zeichnungen in farbiger und schwarzer Kreide verwandeln Bewegung in Farbe und Form. Die mannigfaltigen Einzelelemente der Bilder ("die Ausstreuung vieler gleicher Werte im Bild" – wie Willi Baumeister in "Das Unbekannte in der Kunst" formuliert) und die expressiven, stark kontrastierenden Farben lassen das Auge kaum zur Ruhe kommen. Die Komposition der Gemälde um die zentrale Figur herum lässt fast an einen Strudel denken, der den Betrachter ergreift und seine Gedanken wirbelnd mit sich fortreißt.
 
Was die Farbbehandlung betrifft, haben die Revuetanzbilder durchaus Parallelen im übrigen Werk Lehmanns. In ihrer ungeheuren Dynamik jedoch bleiben sie einzigartig.